vorherige

Inhalt

vor


23. Sichtung – Der Hofrat

Na wie hat er ihnen gefallen, unser Hofrat? Im Grunde ist er nicht anders als Tom van Bilsen. Bloß redet der nicht so klug. Der Hofrat hat sich seinen Vorgarten halt im Geiste gebaut. Wo Tom van Bilsen seinen Zaun hingemacht hat, hat er seine Schranken, im Hirn.

Nein er möchte diese Schranken nicht überschreiten, hat sich seine Spielwiese geschaffen. Alles andere wird rücksichtslos verbellt oder ignoriert, je nachdem. Wichtig ist für ihn nicht der Besitz, wie für Tom, sondern das Ansehen, die Macht. Da aber die einfache Formel lautet "Geld ist Macht", handelt er danach. Alle Tugenden verrammelt er durch sein Streben nach gesellschaftlichem Ansehen, das er durch sein lebenslanges Dienen beim Moloch Organisation wohlerworben hat. Wie, wurde schon gesagt.

In logischer Folge gewöhnte sich Karl die widerlich nichtssagende und aufdringliche Sprachweise an. Er ergeht sich in der Diskussion aller habhaft werdbaren Selbstverständlichkeiten und erhebt sie zur Gesprächskultur. Instinktiv hatte er erkannt, daß das auf alle Situationen paßt und ihm überall Bekannte einbringt. Natürlich weiß er, daß er ihnen am Keks geht, wie das Dirk beschrieb. Aber für ihn ist es das kleinere Übel, als "Schrulli" abgestempelt zu werden, als es nicht benutzen zu können, das Gesindel, wie er sagt. Im Grunde jedoch hat die Trockenheit der Akten sein Herz verdorren lassen.

Er ist also mit jedem gut Freund, wie er sagt. In Wirklichkeit zu symbolisieren mit der Schlange, die dann unbarmherzig zuschlägt, wenn ihr ein Vorteil erwächst. Und die Anderen lassen ihn gewähren, erfüllen ihm Wünsche, um ihn loszuwerden. Aber keiner bannt ihn von der Schwelle, den Hofrat. Bannen Sie ihn von der Schwelle, den Hofrat. Nicht zornig, grimmig gar, nein Milde. Er ist einfach so. Ein Faulpelz, dem es bequemer scheint, sich den ganzen Tag durch Taten wichtig zu machen, als an sich selbst zu arbeiten. Ein Parasit, der nur durch Läuterung zur Erkenntnis gebracht werden kann, durch den Bann. Glauben Sie mir, er stört ihre Kreise, der Hofrat.

Haben Sie aus Dirks Erzählung bemerkt, wie schnell er verschwunden war, als es ums Eingemachte ging, als ihn doch Dirk nach dem Begriff Zeit gefragt hatte, wo er doch so schön dahinglitt, in seinem Stumpfsinn? Geflohen ist er vor der Anstrengung, vor der Demütigung, der er sich selbst unterwerfen hätte müssen. Er weiß genau, wieviel Arbeit das ist, der Hofrat. So dumm ist er auch nicht. Seine Empfindungen haben ihn gerettet vor der vermeintlichen Schmach.

Hätte doch Dirk Augustinus zitiert,

"Aber zuversichtlich behaupte ich zu wissen, daß es vergangenen Zeit nicht gäbe, wenn nichts verginge, und nicht künftige Zeit, wenn nichts herankäme, und nicht gegenwärtige Zeit, wenn nichts seiend wäre“...“Die Gegenwart hinwieder, wenn stetsfort Gegenwart wäre und nicht in Vergangenheit überginge, wäre nicht mehr Zeit, sondern Ewigkeit“...“Rechtens also nennen wir sie Zeit nur deshalb, weil sie dem Nichtsein zuflieht“ (Anno 398 nach Christus) und ihm dann gesagt, daß Augustinus für diesen paar Zeilen ein Leben brauchte. Als Zeitungsschreiber wäre er ungeeignet gewesen, der Augustinus.

Bemerken Sie den Qualitätsunterschied? Leute wie der Hofrat und Tom sind die Träger des Zeitgeistes. Sie agieren unbewußt so wie andere es wollen. Den Kampf des Mannes nehmen sie nicht an, sie flüchten. In die Praxis. Sind sie überhaupt fähig, Ideale zu haben? Oder wie der Hofrat nur bequem, genüßlich und süffisant? Ja schon, sage ich, aber die sind dann ein Begriff wie Wetter. Ja schon, bloß welches? Bedauerlich ist alles, was mir dazu einfällt.

Sollte er doch irgendwann, das Leben ist eben wunderbar, die Kurve kriegen, dann bitte ich Sie, helfen Sie ihm. Jeder, absolut jeder ist die Mühe wert. Aber, wägen sie gut.

Werfen Sie sie nicht vor die Säue, ihre Perlen, ihre Einsichten. Der Hohn und Spott wird ihnen nicht gerecht.

Natürlich können Sie es so machen wie ich. Ihn einfach nicht annehmen, den Hohn, den Spott und den K(r)ampf. Also den Kampf würde ich jederzeit annehmen. Bloß es gibt keinen Gegner mehr. Die edlen Kämpfer sind im Grunde meine Freunde. Sie können mich gar nicht bekämpfen.

Die Hofräte allerdings, die machen sie zum Feind. Immer. Wo kämen wir denn hin, wenn wir uns nicht suhlen könnten in der Banalität. Ja, sie sind empfindsam, die Hofräte. Aber Gefühle haben sie nicht, die Gräberschänder der Einsicht.

 

Man sieht nun, für wen der Weg frei geworden ist. Für die Diktatur der ganz und gar Voraussetzungslosen, für lachende Gräberschänder.

Franz Werfel(1890 - 1945)

 


vorherige

Inhalt

vor